Zeigt Ihr Kind im familiären Rahmen Verhaltensauffälligkeiten, ist es wichtig, in der Familie etwas zu unternehmen und zu verändern. Dies können Sie in die eigene Hand nehmen oder Sie nehmen dazu die Hilfe von "Profis" in Anspruch.
Wenn Sie die Hilfe eines Arztes oder Psychologen aufsuchen, wird dieser mit Ihnen gemeinsam überlegen, an welchen konkreten Problemen Sie zuhause arbeiten möchten. Sie werden besprechen, wie Sie den Umgang mit Ihrem Kind so verändern können, dass Ihr Kind in den ausgewählten Situationen häufiger erwünschte Verhaltensweisen zeigt und sich weniger problematisch verhält. Nur so werden Sie zuhause Veränderungen im Verhalten Ihres Kindes erzielen können. Eine Behandlung des Kindes, in die Sie nicht einbezogen werden, wird zu keiner Veränderung der Verhaltensprobleme Ihres Kindes führen.
Hauptansatzpunkt dieser Maßnahmen ist der Teufelskreis, in den Eltern (aber auch alle anderen Bezugspersonen) mit dem betroffenen Kind oder Jugendlichen so gut wie immer geraten.
Anhand dieses Teufelskreises lassen sich folgende 9 Grundprinzipien für Eltern von Kindern und Jugendlichen mit ADHS ableiten, die wir auf diesen Seiten näher erläutern:
In der folgenden Grafik ist der Teufelskreis dargestellt, in den typischerweise Familien mit Kindern geraten, die ADHS-Symptome aufweisen. Aber auch ErzieherInnen und LehrerInnen geraten häufig mit ADHS-Kindern in einen solchen Teufelskreis.
Ablauf des Teufelskreises in Phasen:
1. Die Eltern stellen dem Kind eine Aufforderung.
In ganz vielen alltäglichen Situationen stellen alle Eltern ihren Kindern Aufforderungen. Das Kind kann eine solche Aufforderung der Eltern befolgen oder auch nicht. Wenn das Kind tut, was die Eltern gesagt haben, dann achten die meisten Eltern nicht weiter auf ihr Kind, sondern machen etwas anderes, z.B. Essen kochen, bügeln oder auch Zeitung lesen. Kinder mit ADHS reagieren schon alleine aufgrund ihrer Aufmerksamkeitsprobleme und Impulsivität häufig nicht auf solche Aufforderungen. Damit beginnt der Teufelskreis.
2. Die Eltern wiederholen ihre Aufforderung.
Die Eltern wiederholen zunächst ihre Aufforderung; sie werden dabei immer ärgerlicher und die Stimme wird immer lauter und gereizter. Wenn die Kinder dann tatsächlich das tun wozu sie aufgefordert wurden, wenden sich die Eltern - meist schon recht ärgerlich - wieder anderen Tätigkeiten zu, oft mit Worten wie: „Warum nicht gleich so?“ Tut das Kind immer noch nicht was die Eltern sagen, dann geht der Teufelskreis weiter.
3. Die Eltern drohen.
Infolgedessen gehen die Eltern meist dazu über ihren Kindern mit Strafen zu drohen. Da die Eltern zu diesem Zeitpunkt schon sehr verärgert sind, werden diese Drohungen oft sehr impulsiv ausgesprochen und sind nicht gut überlegt. Es kann zu mehrfachen Wiederholungen der ausgesprochenen Drohungen kommen, die immer heftiger ausfallen.
Manchmal kommt das Kind letztendlich doch der Aufforderung der Eltern nach. Häufig verlassen die Eltern daraufhin wütend das Zimmer, um einer anderen Tätigkeit nachzugehen. Kommt das Kind immer noch nicht der Aufforderung nach, dann geht der Teufelskreis weiter.
4. Die Eltern sind ratlos.
Meist wissen die Eltern an dieser Stelle nicht mehr weiter! Weder eine freundliche noch eine ärgerliche Aufforderung, noch Androhungen von Strafen bewegen das Kind dazu, das zu tun, was die Eltern von ihm erwarten.
Jetzt haben die Eltern zwei Möglichkeiten zu reagieren:
Entweder sie geben nach und fordern von ihrem Kind nicht mehr das, was sie eigentlich wollten: das Kinderzimmer bleibt unaufgeräumt, die liegen gebliebenen Schuhe trägt die Mutter selbst weg oder das Kind kommt trotz dreckiger Finger zum Mittagessen.
Im anderen Fall reagieren die Eltern aggressiv auf das Kind: das Kind wird mit Worten abgewertet, bekommt eine Ohrfeige oder auch eine Tracht Prügel.
5. Welche Erfahrungen macht das Kind im Teufelskreis?
Im Teufelskreis macht das Kind vielfältige ungünstige Erfahrungen, die eher dazu beitragen, dass die Verhaltensprobleme weiter zunehmen.
Geben die Eltern am Ende des Teufelskreises nach, macht das Kind die Erfahrung, dass es die "Nörgeleien" der Eltern nur lange genug aushalten muss, um unangenehmen Aufforderungen aus dem Wege zu gehen. Es erfährt, dass die Aufforderungen und schließlich auch Drohungen der Eltern häufig nicht ernst zu nehmen sind. Bei der nächsten Aufforderung der Eltern wird das Kind noch eher dazu tendieren, nicht auf das zu reagieren, was die Eltern sagen und immer unruhiger, unaufmerksamer und impulsiver werden. Die Eltern erziehen ihr Kind also ohne es zu wollen dazu, immer häufiger "nein" zu sagen und immer stärkere ADHS-Symptome zu entwickeln!
Reagieren die Eltern am Ende aggressiv, lernt das Kind, wie man sich zumindest als körperlich Stärkerer durchsetzen kann. Die Eltern sind ein aggressives Modell. Das Kind bekommt vorgelebt, dass gutes Zureden und auch Drohungen oft nichts nutzen, sondern letztlich nur der körperlich Stärkere gewinnt. Auch wenn das Kind das nächste Mal (aus Angst) der Aufforderung vielleicht nachkommt, wird es gegenüber kleineren Geschwistern oder außerhalb der Familie die Erfahrung anwenden, dass der Stärkere gewinnt. Somit steigt die Wahrscheinlichkeit zu aggressivem Verhalten!
Auch wenn das Kind zu irgendeinem Zeitpunkt schließlich doch der Aufforderung nachkommt, macht es häufig ungünstige Erfahrungen. Meist wenden die Eltern sich schließlich den liegen · gebliebenen Tätigkeiten zu. Dies ist verständlich, da Kinder mit ADHS oft viel Kraft, Zeit und Nerven kosten, so dass die Eltern froh sind, wenn sie endlich mit ihrer Tätigkeit fortfahren können. Das Kind macht jedoch die Erfahrung, dass sein angemessenes oder weniger problematisches Verhalten gar nicht weiter beachtet wird. Die mangelnde Aufmerksamkeit wird zukünftig dazu führen, dass das Kind eher seltener den Aufforderungen der Eltern nachkommen wird. Zudem ist der Umgang miteinander zunehmend negativ geprägt (ermahnen, schimpfen, schreien, drohen, weinen) und positive Erfahrungen treten immer mehr in den Hintergrund. In der Konsequenz haben Eltern oft das Gefühl, dass sie mit Ihrem Kind nur noch schimpfen müssen und Kinder erleben ihre Eltern nur noch als permanente Nörgler.
Es wird Sie verwundern, dass das erste Grundprinzip sich gar nicht mit dem Kind beschäftigt, sondern Sie daran erinnern möchte, Ihre eigenen Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen. Kinder mit ADHS sind sehr anstrengend und erfordern von den Eltern unendlich viel Kraft. Um diese Kraft immer wieder neu schöpfen zu können, dürfen Sie Ihre eigenen Wünsche nicht völlig vernachlässigen. Überlegen Sie deshalb, wie Sie sich entspannen können, wie Sie sich selbst etwas Gutes tun können und auf welche Weise Sie sich entlasten können. Wechseln Sie sich mit Ihrem Partner oder mit anderen nahen Verwandten (z.B. Großeltern) in den Aufgaben der Erziehung ab. Auf diese Weise können Sie wieder neue Kraft für Ihr Kind schöpfen und nicht nur Sie selbst, sondern auch Ihr Kind wird davon profitieren.
Die im Teufelskreis dargestellten typischen Fallen, in die man üblicherweise tappt, betreffen nicht nur Eltern von Kindern mit ADHS, sondern passieren allen Eltern. Normalerweise ist das auch nicht schlimm und die Erziehung der Kinder gelingt auch dann ganz gut, obwohl man immer wieder in solche Fallen hineingerät. Bei Kindern mit ADHS wirken sich diese Fehler aber leider stärker aus und sie treten auch häufiger auf als dies bei der Erziehung von Kindern im Allgemeinen der Fall ist.
Sie sollten sich also immer bewusst sein, dass Fehler in der Erziehung das normalste auf der Welt sind und niemand perfekt sein kann. Wenn Sie nach Perfektionismus streben, machen Sie sich nur selbst und damit auch Ihr Kind unglücklich. Versuchen Sie also die folgenden Prinzipien so gut es geht zu beachten und hadern Sie nicht mit sich selbst, wenn es Ihnen nicht immer so gut gelingt.
Anhand des Teufelskreises kann man erkennen, dass die Eltern-Kind-Beziehung häufig so sehr belastet ist, dass die positiven Anteile und Erfahrungen sowohl von den Eltern als auch von dem Kind kaum noch erkannt werden können. Deswegen ist es sehr wichtig, dass Sie sich bemühen, die positiven Anteile in Ihrer Beziehung wieder stärker zum Vorschein kommen zu lassen. Das ist einfacher gesagt als getan!
Ein hilfreicher Weg dabei ist, dass Sie sich bewusst machen, was alles mittlerweile im Alltag ohne größere Probleme oder besser gelingt als früher. Beachten Sie dabei bitte auch die Selbstverständlichkeiten. Denken Sie immer daran, dass Ihr Kind aufgrund der ADHS in vielen alltäglichen Situationen eingeschränkt ist und wesentlich mehr Kraft und Anstrengung aufbringen muss, um Aufgaben zu bewältigen, die für andere Kinder vielleicht selbstverständlich sind.
Versuchen Sie also so häufig wie möglich, Ihrem Kind etwas Nettes zu sagen, ihm zu zeigen, worüber Sie sich freuen und dass Sie es mögen. Nehmen Sie sich auch immer wieder Zeit, mit Ihrem Kind zu spielen und andere angenehme Aktivitäten durchzuführen. Es geht dabei gar nicht darum, möglichst viel Zeit mit dem Kind zu verbringen, sondern mehr darum, möglichst häufig, wenn auch nur für Minuten, etwas Angenehmes zu erleben.
Kinder mit ADHS können sich selbst nicht so gut steuern, wie das anderen Kindern möglich ist. Deshalb müssen die Eltern diese Kinder mehr lenken, als das sonst notwendig ist. Ein wichtiges Mittel dabei sind möglichst klare Regeln, an die das Kind sich halten soll. Regeln geben Halt, Orientierung und Sicherheit.
In vielen Familien gibt es sehr viele Regeln, die aber nicht konsequent angewandt werden. Es ist viel hilfreicher, wenige Regeln aufzustellen, diese aber konsequent anzuwenden als viele Regeln immer wieder neu hervor zu zaubern, aber dann nicht auf ihre Einhaltung zu achten.
Versuchen Sie daher, gemeinsam mit Ihrem Partner, die wichtigsten Familienregeln aufzustellen und sie mit Ihrem Kind zu besprechen. Je älter das Kind ist, um so wichtiger ist es, dass das Kind aktiv daran beteiligt wird. Stellen Sie nur die Regeln auf, bei denen Sie auch dafür sorgen können, dass sie eingehalten werden.
Loben Sie Ihr Kind immer dann, wenn es etwas gut gemacht hat und vor allem dann, wenn es Regeln einhält. Wenn Sie Ihr Kind einerseits bei einer Regelverletzung (zurecht) zur Verantwortung ziehen, dann müssen Sie es aber auch andererseits dafür loben, wenn es die Regel einhält. Bedenken Sie immer dabei, dass es Ihrem Kind schwerer als anderen Kindern fällt, Regeln einzuhalten.
Sie brauchen jedoch nicht gleich in Lobpreisungen auszubrechen, wenn Ihr Kind die Straßenschuhe an die richtige Stelle gestellt hat, aber ein freundliches Nicken, ein kurzes Lächeln oder ein ermunterndes „schön“ kann viel helfen.
Wenn Sie Ihr Kind regelmäßig dafür loben, dass es sich an die vereinbarten Regeln hält, dann haben Sie auch das Recht, immer dann eine negative Konsequenz folgen zu lassen, wenn es sich nicht an diese Regeln hält. Die Konsequenzen müssen nicht hart sein, viel wichtiger ist es, dass sie immer erfolgen, wenn das Kind die Regeln übertritt.
Überlegen Sie für jede Regel, die Ihnen wichtig ist, welche Konsequenz Sie erfolgen lassen können, falls das Kind die Regel nicht beachtet. Stimmen Sie sich darin mit Ihrem Partner oder anderen wichtigen Bezugspersonen des Kindes ab. Es ist extrem wichtig, dass Sie sich in den wichtigsten Regeln und Konsequenzen einig sind. Die Konsequenzen sollen unmittelbar auf das Problemverhalten erfolgen und nicht erst Stunden später.
Kinder mit ADHS unterscheiden sich von anderen Kindern darin, dass sie kaum auf verzögerte oder nur gelegentlich erfolgende Konsequenzen reagieren. Deshalb ist es so wichtig, dass positive wie auch negative Konsequenzen möglichst unmittelbar und regelmäßig eintreten.
Als Eltern wissen Sie, welche Situationen mit Ihrem Kind besonders häufig problematisch sind. Bei vielen Kindern sind das die Hausaufgaben oder wenn Besuch kommt oder wenn Sie gemeinsam Bekannte besuchen und wenn Sie mit Ihrem Kind in der Öffentlichkeit sind (z.B. im Bus, im Supermarkt oder in einem Restaurant).
Versuchen Sie mit Ihrem Kind darüber in einer ruhigen Minute zu sprechen und vereinbaren Sie mit ihm, dass Sie es immer kurz vorher an die drei wichtigsten Regeln erinnern. Sie können auch mit Ihrem Kind eine Belohnung vereinbaren, wenn es sich in einer solchen Situation an diese Regeln hält.
Kinder mit ADHS zu erziehen ist Schwerstarbeit! Daher bleibt es auch nicht aus, dass Eltern gelegentlich nicht mehr weiter wissen und verzweifelt oder wütend reagieren. Versuchen Sie immer daran zu denken, dass Sie als Eltern den Überblick behalten sollten und versuchen Sie trotz allem, ruhig zu bleiben und einen inneren Abstand zu bewahren.
Vielen Eltern hilft es, wenn Sie sich in kritischen Situationen immer wieder vor Augen führen, dass Ihr Kind eine Beeinträchtigung hat, die es ihm schwer macht, so zu reagieren wie andere Kinder. Bleiben Sie also so ruhig wie möglich. Manchmal ist es hilfreich, eine Auseinandersetzung mit dem Kind zu unterbrechen, in ein anderes Zimmer zu gehen oder einen kleinen Spaziergang zu machen, um dann mit neuer Kraft und mehr Gelassenheit die Probleme zu lösen.
Mit einem neuen Online-Angebot, dem ADHS-Elterntrainer, bietet die AOK Eltern von Kindern mit ADHS fachlichen Rat und konkrete Selbsthilfe, um schwierige Alltagssituationen besser meistern zu können. Das Online-Elterntraining wurde in Kooperation mit dem ADHS-Experten Prof. Manfred Döpfner vom Universitätsklinikum Köln entwickelt. Es ist kostenlos, anonym und für alle verfügbar.
Hier geht es zur Homepage!
Die neue App ist eng an das erfolgreiche Elternbuch »Wackelpeter & Trotzkopf« von Manfred Döpfner und Kollegen angelehnt. Für die fünf wichtigsten Problemsituationen, die im Familienalltag auftreten (Aufstehen/Morgenchaos, Mahlzeiten, Hausaufgaben, Geschwisterrivalität, Wutausbrüche) gibt es hilfreiche Erziehungstipps. Schritt für Schritt werden die Eltern dazu angeleitet, diese in den konkreten Situationen umzusetzen. Erinnerungs- und Protokollfunktionen unterstützen sie dabei. Abgerundet wird die App durch Informationen zu ADHS und den wichtigsten Erziehungstricks.
Hier finden Sie weitere Informationen und Links zum konstenlosen Download der App!